Welches Studiensystem wollen wir?

 
Welches Studiensystem wollen wir?

Das ist die wichtigste Frage, die Grundlage für Studienreformen sein sollte. In Deutschland ging es der Politik dagegen offenbar eher darum, den individuellen Bildungsanspruch von Studierenden zurückzudrängen und einen vollwertigen Hochschulabschluss nur noch denjenigen zukommen zu lassen, bei denen sich das auch ökonomisch betrachtet „lohnt“. Die propagierten Ziele das Studium zu internationalisieren  oder „mehr und jüngere Fachkräfte für die Wirtschaft" sind lediglich Rechtfertigungsmuster, die mit der Realität nur wenig zu tun haben.

Das aktuelle Höher-Schneller-Weiter-Paradigma führt zu den Kurzschlüssen in den Köpfen der BildungspolitikerInnen und dann letztlich in bekannte  Reformkatastrophen mit den Zielen: Immer früher mit der Bildung anfangen und fertig werden, immer mehr Stoff reinprügeln, bitte möglichst unselbstständig sein und bitte auch nicht zu viel diskutieren.

Und so soll also Bildung in einer modernen Gesellschaft aussehen? Wir sagen nein! Es muß zu einer kompletten  Umkehrung und Entkernung dieser Ideologie kommen, die uns Studierende, Schüler und Kindergartenkinder als Investitionsmaßnahmen in die Wirtschaft begreift.

Der Mensch und seine Bedürfnisse nach inhaltlichem Wissen, (Selbst-) Kritikfähigkeit und freier Entfaltung der  Persönlichkeit muß endlich Mittelpunkt und Ziel der Bildungspolitik werden. Wir schlagen hier also eine Reform der Studiengänge vor. Kernpunkte dieser Studienreform sollen im Folgenden dargestellt werden:

Module schränken die Wahlfreiheit ein. Es sollten aber für alle Studierenden alle erdenklichen Spezialisierungs- und Kombinationsmöglichkeiten unterschiedlicher Kurse und Vorlesungen möglich sein. Das bedeutet nicht, dass es keinen Studienplan mit dem Charakter eines Leitfadens geben darf, Pflichtkurse aber sollten sich darauf beschränken, was in dem jeweiligen Fach an Grundkenntnissen zwingend vorausgesetzt werden muss und bis auf wenige Ausnahmefälle (z.B. Biologie, Chemie) nicht mehr etwa einem Viertel aller Kurse ausmachen.

Der höhere Studienabschluß - heißt er nun Master, Magister oder Diplom ist nicht wichtig - muß der Regelabschluß (selbstverständlich dann mit Rechtsanspruch) werden. Der Bachelor sollte wie beim integrierten Hamburger Modell der ehemaligen Wissenschaftssenatorin Christa Sager vorgesehen, lediglich als Option für einen vorzeitigen Studienausstieg erhalten bleiben.

Diskussionen und eine inhaltlich differenzierte Auseinandersetzung mit fachlich und vor allem  gesellschaftlich relevanten Fragen dieser Zeit sollen im Mittelpunkt der Seminare und Vorlesungen stehen. Bei sehr theorielastigen Veranstaltungen sollten der kritischen Auseinandersetzung mit dem Veranstaltungsstoff und dessen  gesellschaftlicher Relevanz in Übungen und Praktika ausreichend Raum gegeben werden. In der Regel sollte mehr als die Hälfte der Zeit im Rahmen eines freien Gespräches und einer freien Diskussion zwischen Studierenden bzw. zwischen Studierenden und Dozenten gefüllt werden. Bei Studiengängen mit hohem Anteil essentiellen Fachwissens, wie etwa Medizin, soll die durchschnittliche Studienzeit entsprechend erhöht werden, so daß die Beschäftigung mit gesellschaftlich relevanten Fragen zusätzlich zum Fachwissen ermöglicht werden kann.

Am Ende einer solchen Studienreform sollen Studiengänge stehen, die weit besser und freiheitlicher sind als die alten Diplom- und Magisterstudiengänge und welche sich noch stärker am kritischen Denken orientieren. Dies soll ausdrücklich auch Fächer der Wirtschaftswissenschaften, Jura oder Medizin betreffen, die sich noch immer einer kritischen Wissenschaft widersetzen und immer noch zu viele engstirnige, systemkonforme, zu wenig offene AbsolventInnen hervorbringen.

Weiterhin – das ist weniger eine Frage des  Studiensystems – muß das Studium unentgeldlich werden. D.h. Studiengebühren müssen sofort abgeschafft werden, denn sie wirken - wie wir alle wissen - sozial selektiv und widersprechen dem Sozialpakt der Uno ("Bildung als Menschenrecht") und auch dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes mindestens im Geiste.

Diese und weitere Eckpunkte unseres Vorschlags für ein Regenbogen-Studiensys sind in der folgenden Tabelle zusammengefaßt:

 

 

Dipl. / Mag.

BA - MA

Rebo-Vorschlag

 

Rebo-Begründung

Niedriger Abschluß
als Regelabschluß

Nein

Ja

Höherer Abschluß Regelabschluß, Bachelor nur als Aus­stiegsoption

 

Unsere Gesellschaft braucht mehr kritisch denkende, gut ausgebildete Menschen. Diejenigen, die ihr Studium abbrechen wollen, sollen aber auch einen Abschluß bekommen (Vergleichbar mit dem Vordiplom oder dem Bachelor).

Anwesen­heitspflicht

Teilweise

Meistens

Keine. Die Veranstaltungen müssen so interessant sein, daß Stu­dierende gerne dort sind.

 

Studierende sollen selbst entscheiden, wie, wann oder wo sie sich mit Inhalten beschäftigen wollen. Sie sind schließlich erwachsen und selber für sich verantwortlich.

Online-Scheinesammeln

Teilweise

Ja (STINE)

Streng dezentrales und freiwilliges System, welches den Studierenden keinerlei Vorschriften machen kann.

 

Eine Online-Scheinsammlung erspart den Streß, Papierscheinen hinterher laufen zu müssen und das Risiko, diese zu verlieren. Das rechtfertigt aber nicht die mit Stine verbundene Einführung von Kontrollmechanismen. Wenn ein Online­system dann ausschließlich als Sammlung von Scheinen in PDF, als Ersatz für Papierscheine.

Prüfungs- und Arbeitsbelastung

Teilweise hoch

Sehr hoch

Niedrig: Prüfungsbelastung deutlich reduzieren, Klausuren überwiegend durch andere Prüfungsformen er­setzen. Selbst Lenzen schlägt vor, höchstens 50% der Lehrver­an­stal­tungen zu benoten und höchstens 25% durch Klausuren abzuprüfen. Die wöchent­liche Arbeits­belastung darf 27 Stunden nicht überschreiten.

 

Lernen für zu viele Prüfungen (vor allem am Semester­ende) führt zwangsläufig zum Lernen für das Kurzzeitgedächtnis („Bulemie­lernen“). Das macht krank. Statt­dessen sollten die Studie­renden die Auswahl zwisch­en Hausarbeiten oder münd­lichen Prüfungen, die auch als Gruppenprüfung an­ge­boten werden können

Verhältnis eigene
Themen, zu Wissens­überprüfungen

Überwiegend eigene
Themen

Überwiegend Tests, Klausuren

Fast ausschließlich eigene Themen

 

Eine eigenständige oder eine Beschäftigung mit Inhalten in Klein­gruppen für selbst gewählte Themen ergibt mehr Sinn, als das nicht nachhaltige Lernen für Klausuren.

Alle Noten Zählen
in die Endnote

Nein

Ja

Wahlmöglichkeit zwischen klein­teiligen studienbe­gleiten­den Prü­fung­en oder einer klassischen Ab­schlussprüfung mit maximal drei Teil­prüfungen, deren Zeitpunkte die Studierenden selbst wählen können.

 

Alle Studierenden dürfen kurz vor Ende des Stu­diums wählen, ob alle Noten oder nur die End­note der Abschlußarbeit und oder der Abschluß­prüfung zählt.

Berufs­orientierung

Wichtig, aber zweitrangig

Hauptziel

Wichtig, aber zweitrangig

 

Berufsqualifizierung geht automatisch mit einem selbstbestimmten und kritischen Studium einher.

Modularisierung

Nein

Ja

Nein

 

Freie Kurswahl und freie Spezialisierung!

Softskill-Kurse (ABK)

Nein

Ja

Nein

 

Arbeitsamt-Kindergarten und Firmenwerbung hat in der Uni nichts zu suchen.

Fokus auf Diskus
und kritischem Hinterfragen

Teilweise

Bedingt

In der Regel sollte wenigstens die Hälfte der Zeit in Lehr­ver­an­staltung­en der kritischen Diskussion vorbehalten sein.

 

Kritisches und eigen­ständiges Denken ersteht nicht aus dem Nichts und schon gar nicht vom Nach­beten der Meinungen von „Autoritäten“, dem Auswendiglernen, oder dem Anwenden von Nachfrageformeln

Studien­gebühren

Ja

Ja

Nein!

 

Bildung darf nicht sozial selektierend wirken. Geld darf kein Argument für die Studienlänge sein.