Krise mit Geschlechtsmerkmalen

Der folgende Text wurde im Krisenreader des AStA veröffentlicht:

In unserer neoliberalen Gesellschaft sollen Menschen jeglichen Geschlechtes gleich sein.1 Daran Ändert auch die Krise nichts. Wir sind alle gleich betroffen von Kürzungen, vermehrte Arbeitslosigkeit und dem Abbau der Sozialleistungen.

Oder?

Ein kritischer Blick genügt, um festzustellen: Gleichheit existiert ausschließlich auf dem Papier. Vor der Krise, wie auch jetzt!

Zuerst ein kurzer Blick in die Vergangenheit: Bis in die 70er Jahre galt die heteronormative Kleinfamilie als gegeben. Der Mann kam für den Familienunterhalt auf und der Frau wurde Hausarbeit und Kindererziehung zugeschrieben.

Davon hat sich die neoliberale Vorstellung gelöst. Zu unpraktisch und sperrig sind die festen Familienstrukturen. Schnell und flexibel müssen die heutigen Arbeitnehmer*Innen sein, damit sie „wettbewerbsfähig“ bleiben.2

Und auch Frauen sollen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Besonders die vergeschlechtlichten softskills, wie Teamfähigkeit und Einfühlungsvermögen, sind gefragt.3

Doch wer kümmert sich nun um die Familie?

Und genau hier wird die Problematik deutlich. Frauen werden in den Arbeitsmarkt integriert aber das Feld der Haushaltsarbeit und Pflege wird ihnen weiterhin zugeschrieben. Sie tragen eine Doppelbelastung und werden zudem im Schnitt auch noch schlechter bezahlt als Männer.4 Ende 2006 lag Deutschland sogar EU weit auf dem letzten Platz mit einem Einkommensunterschied von 26%.5

In Zeiten der Krise wird diese Mehrfachbelastung noch weiter ausgereizt. Der Staat Re-privatisiert Kinder- und Altersbetreuung und dieses fällt zumeist auf die Frau zurück. Dann wird vielleicht noch das Gehalt gekürzt und so ist die Putzkraft nicht mehr  bezahlbar, so dass weitere Tätigkeiten im Haushalt erledigt werden müssen.6

Hinzu kommt, dass typische Frauenarbeitsplätze besonders Gefährdet sind. Frauen sind oftmals in Mini- und Teilzeitjobs tätig  und diese werden zuerst „weg rationalisiert“.7

Außerdem sind typische Tätigkeitsfelder für Frauen, wie der Einzelhandel oder Pflegeberufe, stark von der Krise oder staatlichen Kürzungen betroffen.8 Besonders im sozialen und kulturellen Bereich wird mit dem Argument der Schuldenbremse ein Sachzwang geschaffen, der Kürzungen erzwingt.

Thematisiert wird hingegen die Gefährdung von männlichen Arbeitsplätzen. In medialen Darstellungen geht es meist um Industriearbeiter, die ihren Job verlieren oder deren Lohn gekürzt wird. Das es mittlerweile Normalzustand ist, dass in einer Kindergartengruppe 25 Kinder auf zwei Erzieherinnen kommen und diese auch noch besondere Förderprogramme mit den Kindern durchlaufen sollen bleibt weitestgehend unbekannt.9

Und auch der Staat konzentriert sich mit all seinen Krisenrettungspaketen und Konjunkturprogrammen auf männliche Tätigkeitsfelder, während im Bildungs- und Pflegebereich gekürzt wird und immer mehr Sozialleistungen wegfallen.10

Somit wird die Situation der Frauen durch die Eingriffe des Staates nur noch weiter verschlechtert.

Die Ursachen für die zunehmende Prekarisierung* der Postion der Frau sind vielfältig und weitgreifend.

So wird die Problematik der Mehrfachbelastung für Frauen de-thematisiert. Höchsten als Frage, wie Familie und Beruf vereinbar sind findet dieses Thema einen Weg in die öffentliche Debatte doch bleibt meist oberflächlich Diskutiert.11

Auch aus der Politik kommen wenig Lösungsansätze. Der Ausbau und die Förderung von Kitas und Nachmittagsbetreuungsprogramme geht nur schleppend voran und nun soll es ein Betreuungsgeld geben.12 Nach dem Gesetzentwurf erhalten Eltern, die mit ihren Kindern zu Hause bleiben eine Aufwandsentschädigung. Dies soll einen Kindergartenplatz ersetzen und bietet für den Staat eine Entschuldigung den Ausbau von Kindergärten weiterhin zu vernachlässigen.

Gesellschaftlich wird die Verantwortung der Erziehung der Kinder immer noch in den Bereich der Frau eingeordnet. Zu oft wird nicht hinterfragt, wer zu Hause bleibt oder auf Teilzeitarbeit umsteigt, weil die Antwort schon lange feststeht.13

Infobox: Prekariat20

Prekariat ist ein soziologischer  Begriff für eine inhomogene soziale Gruppierung, die durch Unsicherheiten der Erwerbstätigkeiten gekennzeichnet ist. Dadurch können Lebensverhältnisse schwierig sein, bedroht werden oder zum sozialen Abstieg führen. Prekariat ist ein neues Wort, das als Substantiv vom Adjektiv prekär abgeleitet ist. Das Adjektiv hat die Bedeutung unsicher, weil widerruflich.

Diese Argumentation wird weiter Begünstigt, da Frauen, öfter als Männer, in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind.14

Auch nehmen typische Frauenberufe einen geringen Stellenwert in unserer Gesellschaft ein.15 Es ist uns nicht so wichtig, dass sich um Kinder und ältere Menschen gut gekümmert wird. Oder das unser Bildungssystem verbessert wird, anstatt eine weitere Bank zu retten. Die Beispiele zeigen was gesellschaftlich als Norm und Alternativlos gilt. Denn entweder Empfinden wir es als gut und richtig wie sich die Welt um uns herum entwickelt oder wir sehen keinen anderen Ausweg, denn sonst wäre Menschen auf der Straße und würden sich wehren.

Warum dies so ist hat zwei Dimensionen.

Der Staat der die oben genannten Entscheidungen trifft ist männlich Dominiert. In Legislative, Exekutive und Judikative sind typische Männerberufe verankert. Zum Beispiel sind nur 32, 9% der Mitglieder im Bundestag Frauen.16 Gesetzesentwürfe, Abstimmungen oder Debatten sind von männlichen Ansichten geprägt und so wundert es kaum noch, dass der Einkommensunterschied von Männern und Frauen immer noch staatlich geduldet wird.

Neben dem Staat spielt die Wirtschaft eine wichtige Rolle in unserem Wertesystem und Alltagsentscheidungen.17 Auch hier sind männliche Akteure zumeist männlich. Das Beispiel der DAX-Unternehmen zeigt, dass im ideal Fall höchsten 29% der Führungspositionen weiblich besetze sind.18

Hieraus geht deutlich hervor, dass die zwei großen Instanzen, die die Meinungen unserer Gesellschaft steuern und leiten, nämlich der Staat und die Eigentümer der Produktionsmittel (Wirtschaft), größtenteils männlich Besetzt sind. So reproduzieren und bestätigen sich die Ansichten des Patriarchats und werden zum gesellschaftlichen Konsens gemacht.19

Die immer fortwährende Selbstbestätigung des Gegebenen führt, nicht nur aus feministischer Sicht, in eine Sackgasse. Hier muss die Krise als Chance wahrgenommen werden.

Es muss gebrochen werden mit einer Kultur, die auf Exklusivitäten begründet ist. Ziel darf es jedoch nicht sein, die männlich besetzten Positionen mit Frauen aufzufüllen, sondern eube andere Kultur, eine andere Prioritätensetzung zu schaffen.

Weg von der Vorstellung möglichst viel zu konsumieren, kann eine Gesellschaft geschaffen werden, die auf ein Miteinander und aufeinander Achten aufgebaut ist.

Nicht nur Geschlechtergrenzen, auch Rassismus und andere Diskriminierungen, können in einem gemeinsamen Diskurs aufgezeigt und abgebaut werden. Thematiken könnten auf die Alltagsproblematiken aller runter gebrochen und Besitz belebt werden. Die* der Einzelne wäre wieder in gesellschaftliche Debatten miteinbezogen.

Dies wäre eine Unmöglichkeit in unserem heutigen Wirtschafts- und Politiksystem. Denn zur Zeit ist es traurige Wirklichkeit, dass wir nicht mitreden sollen und dass die Politik dem Credo der Wirtschaft, immer steigenden Konsums, zuspielt.

Doch dieses Credo steckt nun in der Krise! Es ist Zeit etwas neues zu schaffen!!!

 

1  Art. 3 GG

http://www.perspektiven-online.at/2010/01/20/welche-wirtschaft-wessen-krise

3  Vgl. Deck, Jan /Dellmann, Sarah/ Loik, Daniel/Müller, Johanna (Hsg.) „Geschlechterspezifische  Sozialisation: Arbeit, Geschlecht, Gouvernementalität“

http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/genderreport/5-Vereinbarkeit-von... ; http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=163578.html

http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=89222.html

http://www.linksfraktion-ohz.de/nc/inhalt/archiv/detail/zurueck/archiv-b...

7  Vgl. DGB Vorstand/ Ingrid Sehrbrock (Hsg.) „Prekäre Beschäftigung. Wie auf dem Rücken der Frau der Arbeitsmarkt dereguliert wird.“

http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/karstadt-neckermann-schlecker-einz...

http://www.gew-sachsenanhalt.net/index.php?menuid=32&reporeid=255

10 Vgl. Scheel, Alexandra „Hat die Wirtschaft ein Geschlecht?“

11 http://www.perspektiven-online.at/2010/01/20/welche-wirtschaft-wessen-krise

12 http://www.sueddeutsche.de/politik/gesetzentwurf-zum-betreuungsgeld-erzo...

13 James W. Vaupel (Hsg.), Max-Planck-Institut für demographischen Wandel Rostock, „Demographische Forschung Aus erster Hand“ 2010, Jahrgang 7, Nr.1, S. 4

14 Vgl. DGB Vorstand/ Ingrid Sehrbrock (Hsg.) „Prekäre Beschäftigung. Wie auf dem Rücken der Frau der Arbeitsmarkt dereguliert wird.“

15 http://www.perspektiven-online.at/2010/01/20/welche-wirtschaft-wessen-krise

16 Der Bundeswahlleiter: Endgültiges Ergebnis der Bundestagswahl 2009. 11 Abgeordnete im 17. Deutschen Bundestag nach Alter, Geschlecht und Partei. (Prozentuale Quoten berechnet)

17 Vgl. Gramsci, Antonio: Gefängnishefte, Bd. 7, Hamburg 1996 (Begriff des historischen Blocks)

18 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/180912/umfrage/frauenantei...

19 Vgl. Gramsci, Antonio: Gefängnishefte, Bd. 7, hamburg 1996 (Begrif des historischen Blocks)

20 http://de.wikipedia.org/wiki/Prekarisierung